Mittwoch, 21. Mai 2014

Artgerecht ist nur die Freiheit - Gedanken zur "Nutzung von Tieren" von Hilal Sezgin

„Seien wir ehrlich: Im Grunde braucht es keine komplexen Theorien, keine verschachtelten Argumente, kein Expertenwissen um festzustellen: Die Tiere, die uns heute Fleisch, Eier, Milch, Wolle und Leder `liefern`, führen ein erbärmliches Leben. Wenn Privatpersonen ihre Hunde und Katzen so hielten, würden wir von Tierquälerei sprechen. Und wer Tierquälerei nicht unterstützen und nicht von ihr profitieren will, sollte die entsprechenden Produkte nicht konsumieren. So einfach ist es eigentlich. Man müsste die Frage, ob wir Tiere nutzen dürfen, nicht einmal grundsätzlich klären. Man könnte die Ansicht vertreten, der Mensch – zum Beispiel ein Angehöriger eines Amazonasvolks oder irgendein Naturbursche in Kanadas Wäldern – sei berechtigt, Tiere zu essen. Nur eben: nicht so! Nicht diese Tiere, die auf diese Weise gezüchtet, so 'produziert' wurden. Ich bin ja auch nicht gegen Teppiche – ich bin bloß gegen Kinderarbeit. Wenn mir niemand garantieren kann, dass importierte Teppiche nicht von Kinderhand geknüpft wurden, kaufe ich eben keinen Teppich. Ebenso kann ich mich dagegen entscheiden, Fleisch, Milch und Eier zu kaufen. Nicht grundsätzlich. Nur realistisch. Vielleicht wären Produkte von glücklichen Tieren moralisch in Ordnung, aber in einer Industriegesellschaft gibt es keine. Wenn wir mit unseren moralischen Überzeugungen ernst machen und unser Geld nicht weiter in wirtschaftliche Systeme stecken wollen, die unethisch arbeiten, sollten wir vegan leben und so weit wie möglich auf tierische Produkte verzichten.“ (Sezgin 2014, S 161)
Weiter schreibt Hilal Sezgin in dem Kapitel „Ein Vertrag zwischen Mensch und Tier“, dass sie seit 1982 Vegetarierin gewesen sei und mehrmals auf Veganer getroffen sei in dieser Zeit. Sie bemerkt dazu, dass sie diese Einstellung für übertrieben und „spinnert“ gehalten habe und sich durch Argumente und Fakten erst nicht überzeugen lassen wollte. Erst als sie mit eigenen Augen das Leid der Milchkühe und Legehennen gesehen habe, wurde sie vegan. (Abschnitt vgl. Sezgin 2014, S.162)

Wie Frau Sezgin habe ich mich zu Beginn meines Veganismus im August 2013 gefragt, immer wieder gefragt, ob es nicht ein Geben und Nehmen zwischen Mensch und Tier geben könnte.  Für Liebe, Schutz und Futter beispielsweise ein bisschen Milch, ein bisschen Ei - bei völlig artgerechter Haltung versteht sich. Dazu Sezgin: 
Schließlich helfen wir Menschen einander auch gegenseitig; wir nutzen Dinge, die andere Menschen übrig haben – oder die sie zusätzlich erwirtschaften, weil sie umgekehrt etwas von uns benötigen. Aber hier liegt der entscheidende Unterschied: Bei der Nahrung, die wir von den Tieren haben möchten, handelt es sich um unmittelbare körperliche Produkte – nicht etwas, was man aus fremden Material formt oder zurechthämmert oder sonstwie produziert.  Die großen Mengen an Eiweiß, Fett, Kalzium, die Energie, die zum Beispiel für ein Ei erforderlich ist, haben Hühner eben nicht `übrig`. Sie zusätzlich zu mobilisieren, kostet physiologisch viel Kraft. Die Tiere müssen sich `überschüssige` Milchmengen und Eier sozusagen `aus den Rippen schneiden`. Kein Körper produziert mal eben diese Sekrete; der mütterliche Körper wird sowohl beim Eierlegen als auch beim Milchgeben stark belastet, es ist für den Körper ein Zustand erhöhter Leistung, kein Normalzustand. Und genau deswegen sind ja die Hochleistungstiere, obwohl sie genau dafür gezüchtet wurden, schon nach wenigen Jahren ausgemergelt und am Ende ihrer Kräfte.“ (Sezgin 2014, S. 169/170)
Einzelheiten über die industrielle Herstellung von Milch- und Eiprodukte wie Kükenbrüterein oder eben die gängige Praxis (auch bei Biotieren), dass Mutterkuh und Kalb nach der Geburt getrennt werden, was für beide erwiesenermaßen extrem leidvoll ist, erspare ich hier dem Leser und verweise auf die Linkliste, die hier detailliert Aufschluss geben kann.Bleibt es also an der Autorin zu resümieren:
 „Gewiss, hypothetisch ist es vielleicht nicht unmöglich, sich eine Form des Zusammenlebens zu denken, bei der Produkte von Tieren in geringem Maße und gelegentlich genutzt würden. Dass aber unter solch gänzlich anderen Bedingungen tierische Produkte regelmäßige Komponenten unseres Speiseplans blieben, dagegen sprechen wirtschaftliche, organisatorische, im weitesten Sinne technische Gründe. Praktisch ist es schlicht nicht möglich, tierische Nahrungsmittel in der bisherigen Mengen 'fair' zu erwirtschaften – und auch nicht annähernd in diesen Mengen. ( …) Man würde vielleicht einmal die Woche ein paar Gramm Käse essen.“  (Sezgin 2014, S. 171/172)
Die Autorin lässt die Frage offen, ob ein solcher ethisch vertretbarer Weg der Nutzung tierischer Produkte möglich ist. Denn das hieße:
(Eine Nutzung) ohne sie (die Tiere) zu töten, ihnen die Kinder oder die Mütter wegzunehmen, sie schmerzhaft zu verzüchten, sie körperlich zu belasten und sie beim Vollzug ihres Lebens empfindlich einzuengen. […] Wer wirklich der Meinung ist, dass des praktikabel wäre, möge bitte einen realistischen Plan vorlegen. Ich zumindest sehe so eine Möglichkeit nicht.“ (Sezgin 2014, S. 172)


Seitdem ich mich durch entsprechende Literatur gearbeitet habe, sehe ich die Möglichkeit der Nutzung von Tierprodukten selbstverständlich auch nicht mehr. Schon lange nicht mehr.  
Aber eine Diskussion und Stimmen zu der Frage, ob es einen „Vertrag“ zwischen Mensch und Tier geben könnte, sind hier gerne gesehen.

Postet bitte Eure Erfahrungen und Idee.  Gerne auch die Frage, wie Menschen davon überzeugt werden könnten, dass es kein glückliches „Nutz-“tier geben kann.   

1 Kommentar:

  1. Nutztiere contra Haustiere – Ist das nicht rassistisch?
    Jedes Tier kann fühlen – Ein Appell an alle Tierliebhaber
    Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, auf einem Stück Fleisch eines Labradors herumzukauen? Und was löst die Vorstellung an ein zartes Katzengulaschs in Ihnen aus?
    Ist es nicht seltsam, dass die meisten von uns im Groben zwischen zwei Arten von Tieren unterscheiden. Haustiere wie Hund und Katze gelten als süß und niedlich, werden mit Namen personifiziert und zählen für viele zu den besten Freunden des Menschen.
    Ganz anders dagegen ist unsere Ansicht über Nutztiere. Rinder, Schweine, Hühner, Schafe und Fische und andere Tierarten degradieren wir zu Produzenten von Milch, Fleisch, Haut und Eiern herab und nehmen es hin, dass sie ein an sich sinnloses Leben dahin fristen in viel zu engen Ställen unter vielen weiteren unwürdigen Bedingungen.
    Gibt es überhaupt eine artgerechte Nutztierhaltung? Ist es nicht an sich schon ein Widerspruch Tieren ein möglichst artgerechtes Leben zu ermöglichen, um sie dann anschließend doch zu töten? Nur, damit wir ein Stück Fleisch zwischen unsere Beißerchen bekommen? Immer mehr Studien belegen, dass der Mensch alle die für ihn notwendigen Nährstoffe allein über pflanzliche Lebensmittel be­ziehen kann. Gibt es da noch irgendeine Rechtfertigung für die Ausbeutung und Tötung von Tieren?
    Meinen Sie nicht auch, dass die Zeit reif ist, reif dafür unsere Herzen zu öffnen und diesen Rassismus hinter uns lassen? Werden Sie vegetarisch oder besser noch vegan, aus Mitgefühl den Tieren, der Umwelt, den Mitmenschen und sich selbst gegenüber. Diesen Schritt wagen immer mehr Menschen und er ist bei Weitem einfacher als man zu Beginn vielleicht denken mag. Lassen Sie sich inspirieren von den zahlreichen Möglichkeiten der veganen Küche. Ich durfte diesen Schritt auch gehen und möchte ihn nie wieder missen. Viel Glück bei Ihrem Schritt! Biggi Zielauf

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